Hier zeige ich dir interessante Textilien , mit denen ich arbeite. Textilien sind mehr als bloße Kleidungstücke und Wohnaccessoires. Sie haben spannende Geschichten zu erzählen. Neben technischen Details über deren Herstellung, gebe ich Einblick in die Welt der Muster und Trends. Stoffe vermitteln mit ihrer Gestaltung sogar Emotionen. Hast du dich schon einmal gefragt, warum du ein Lieblings-T-Shirt hast oder du deine Kuscheldecke niemals wegschmeißen wirst? Textilien erzählen etwas über dich, über mich und unsere gesellschaftliche Entwicklung.

Kittelschürze mit und ohne Dederon Nr. I

Hey!

Aus aktuellem Anlass möchte ich dir etwas über die Kittelschürze erzählen. Anfang der Woche hat mich ein ZDF – Team im Erzgebirge besucht und zur Geschichte, Erscheinungsform ect. dieses berühmt berüchtigten Kleidungsstücks befragt. Als wahre Kittelschürzen- Expertin gebe ich natürlich gerne meinen Senf zu diesem Thema. Für ein Kunstprojekt aus Brandenburg habe ich angefangen über die Kittelschürze zu bloggen. Am interessantesten empfinde ich die positive sowie negative Polarität, die von diesem Arbeitskleid ausgeht. So angestaubt und belächelnswert dieses nämlich auf dem ersten Blick scheint,bin ich der Meinung, dass die Schürze neben Kultstatus auch heute noch viel zu bieten hat.

Hier nun Teil I meiner Rechercheergebnisse. Ich bin sicher, dass es der eine oder andere Fakt überraschen wird 😉

Was ist eine Kittelschürze?

Die Kittelschürze aus meiner Erinnerung

Die Kittelschürze aus meiner Erinnerung…links die Oma, rechts die Uroma und dazwischen Mini- Ms.Hey

Eine Kittelschürze ist aus pflegeleichtem und strapazierfähigem Material und hat immer mindestens eine aufgesetzte Tasche. Zu verschließen ist sie mit Knopfleiste vorn oder hinten, Bändern zum seitlichen Zubinden, zum Wickeln sowie manchmal mit Reißverschluss. Sie kann zusätzlich einen taillenbetonenden Gürtel haben oder rückwärtig mit der so gen. „Arschtrage“ ausgestattet sein. Es gibt sie in den Größen 36- 58 in lang und kurz (bis zum Knie), mit und ohne Ärmel, mit oder ohne Kragen und Ausschnitt, mit oder ohne Latz, mit Rüschen oder Biesen. Außerdem hat sie fast immer eine weiße oder farblich passende Paspel. Das Farbspektrum konzentriert sich auf Blau- Violett-Töne, Dunkelgrün, Rotnuancen oder Schwarz und Weiß. Die Dessins sind floral, geometrisch, gestreift oder uni.

Die erste Erscheinungsform aus Amerika:

Ob man es glauben will oder nicht, die Kittelschürzen- Vorfahrin kommt tatsächlich aus Amerika. Darf ich vorstellen: Die Hooverette.

Hooverettes die Vorfahrin der Kittelschürze

Die Hooverette gilt als erste Erscheiningsform der uns bekannten Kittelschürze.Foto von genibee von Flickr (cc)

Die Hooverette ist eine Art Wickelkleid mit Schließgürtel und aufgesetzten Taschen. Sie entstand in den USA nach dem ersten Weltkrieg und gilt als erste Erscheinungsform der uns bekannten Kittelschürze.
Namensgeber dieses kostengünstigen Arbeitskleides ist der 31. Präsident der Vereinigten Staaten Herbert Hoover, der zur Zeit der großen Wirtschaftsdepression Anfang der 1930er Jahre regierte. Er war äußerst unbeliebt bei der Bevölkerung, und sein Name musste auch für weitere negative Ausdrücke herhalten: „Hoover buggies“ waren schrottreife Autos, die sogar von Pferden gezogen wurden, und die Elendsviertel der obdachlos gewordenen Amerikaner wurden im Volksmund „Hoovervilles“ genannt.
Das Schürzenkleid erfreute sich trotz des Namens großer Beliebtheit. Der Schnitt schmeichelte jeder Figur, das Baumwollmaterial ließ sich angenehm tragen und so war man sogar bei schwerer Arbeit immer „ gut angezogen“.

Jetzt weißt du, was eine Kittelschürze ausmacht und wo sie herkommt. Sie hat einen erstaunlichen Weg über den großen Teich unternommen und wurde in ganz Deutschland das It-Piece Nummer 1. Neben Baumwolle bestand die Kittelschürze vor allem im Osten aus einer interessanten Kunstseide. Die Frage, die mir immer wieder gestellt wird ist, ob es Unterschiede zwischen dem damaligen westdeutschen Perlon und dem ostdeutschen Dederon gibt. Darum eine kleine Abhandlung:

Nylon, Perlon und Dederon

typischer Dederonstoff einer Kittelschürze

Dederonstoff oder Polyester? – Das ist hier die Frage!

Was wäre die typische Kittelschürze ohne Chemiefaser, wie Nylon, Perlon oder Dederon? Eben.

Alle drei Begriffe beschreiben eine nahezu identische Kunstfaser, das Polyamid, welches aus Kohlenstoff, Wasser und Luft besteht. Interessanterweise wurde es vor ca. 60 Jahren zeitgleich in den USA (Nylon) und in der BRD (Perlon) erfunden. Auf Grund der immensen Rüstungsindustrie des 2. Weltkrieges erkannte man schnell die universalen Einsatzmöglichkeiten des Stoffes für beispielsweise Fallschirme, Flugzeugreifen und Bürsten zur Reinigung von Waffen. Neben der ganzen Kriegsmaschinerie wurde Nylon zur Herstellung von Zahnbürsten und Strumpfhosen verwendet.
Nach Kriegsende waren „Nylons“ ein Objekt der Begierde. Sie galten als absoluter Luxusartikel und wurden neben Ami-Zigaretten als Währung auf dem Schwarzmarkt gehandelt.
Polyamid feierte seinen Siegeszug in der Bekleidungsindustrie in den 1950er und 60er Jahren. In der DDR wurde Perlon unter dem symbolbehafteten Namen Dederon vermarket, der sich ganz kreativ aus DDR + on zusammensetzt. Um die Diskussion ein für alle Mal zu beenden: Perlon und Dederon sind das Gleiche.

Wenn du mehr über das Thema erfahren möchtest, gibt es hier die passende Lektüre käuflich zu erstehen via Amazon:

Schlussbetrachtung

Die Kittelschürze ist also ein Arbeitsschutz und gleichzeitig gesellschaftsfähiges Alltagsdress gewesen. Neben Baumwolle ist Polyamid (Nylon ,Perlon ,Dederon) eine Art Kunstseide, deren Verwendung erstmalig bei der Kriegsrüstung verwendet wurde. Das daraus gewonnene Textil war einfach zu färben und zu bedrucken. Nie dagewesene leuchtende Farben und Musterkombinationen wurden in einem Kleidungsstück vereint. Experimentierfreudige Textildesigner ließen Schürzen entstehen, die zugleich modisches Accessoire und Statementpiece einer neuen selbstbewussten und arbeitstüchtigen Frau wurden. Was macht eine einfache Arbeitsbekleidung so populär? Jedes gute Stück Stoff hat eine interessante Geschichte zu erzählen. Aber so polarisierend und divers wie die Kittelschürze kann das wohl kaum ein Kleidungsstück.

Demnächst…

Nun kennst du die Hauptmerkmale einer Kittelschürze. Im nächsten Teil erfährst du, warum ich mich als junge Designerin in das Thema verbissen habe. Was die Schürze uns heute überhaupt zu sagen hat und was passieren muss, um sie in Zukunft für junge Frauen wieder attraktiv zu machen.

Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit und bis zum nächsten Mal,

deine Ms.Hey!

Dederon ist tot. Lang lebe der Dederon!

Hey!
Wir alle haben die knallbunte, geblümte Dederonschürze von unseren Omas im Gedächtnis und diese Stoffbeutel, die ältere Leute seit Jahrzehnten benutzen. Schon mal darüber nachgedacht, warum dieses Material erstens unkaputtbar zu sein scheint und zweitens höchstens noch in Verbindung mit „Vintage“, „Ostalgie“ und „Oma“ benutzt wird? Wie kann ein Meilenstein der ostdeutschen Textilproduktion vom Hype-Produkt der 60er, 70er Jahre einfach so von der Bildfläche verschwinden? Jetzt werdet ihr denken: „Was kommt die uns mit so einem Gelaber über Dederon, interessiert doch keinen!“ Tja, so ging es mir auch anfangs.

Aber betrachtet man Dederon aus mehreren Blickpunkten, ist er Sinnbild für die Wirtschaftsweise der DDR, erklärt das Konsumverhalten unserer Eltern und Großeltern und beweist spätestens, dass Musterzeichner und Designer jener Zeit unglaublich mutig und unangepasst gestaltet haben. Von wegen der Osten war grau. Außerdem wäre doch mindestens der Dederonbeutel ein würdiger Ablöser der Plastiktüten. Er passt wunderbar zu dem immer größer werdenden Bewusstsein über Nachhaltigkeit und Wertschätzung lokaler, qualitativ hochwertig produzierter Waren.

Woher kommt der Dederon?

Wenn du bis hier gelesen hast, alle Achtung! Dann habe ich jetzt deine Aufmerksamkeit für die wirklich harten hard facts…
Also am Anfang war da Nylon.Aus Amerika. Es handelt sich hier um die erste voll synthetisch hergestellte Kunstfaser aus vereinfacht gesagt Kohlenstoff, Wasser und Luft. Die deutsche Antwort darauf war Perlon, was 1938 von Herrn Schlack für die I.G.-Farbenindustrie in Berlin entwickelt wurde. Die Entwicklungszeit verrät eigentlich schon die erste Verwendung des Polyamids: Krieg. Fallschirme, Flugzeugreifen und Bürsten zur Reinigung von Waffen zum Beispiel. Nebenher noch als Zahnbürste und Damenstrumpf. Dazwischen passierte nicht viel, bis 1959 endlich die ostdeutsche Antwort auf Nylon und Perlon folgte. Das Polyamid 6 bekam den unglaublich kreativen Handelsnamen „DeDeRon“ (DDR+on). Ein Kunststoff bekommt den Namen eines Staates.

Kunstseide in der Bekleidungsindustrie, Achtung Chemie!

Nylon, Perlon und Dederon gehören chemisch gesehen zu der Polyamidgruppe. Sie sind sich sehr ähnlich, es gibt aber feine Unterschiede in der Herstellung und der chemischen Zusammensetzung. Ein Polymer bezeichnet dabei einen chemischen Stoff, der aus Makromolekülen besteht, welche wiederum aus mehreren Struktureinheiten bestehen. Man kann sich das vereinfacht als Perlenkette vorstellen, jede Perle hat die gleiche Bauart. Die aufgefädelten Perlen sind durch die Kette verbunden und bilden einen Strang. Nun gibt es sie in weiß, creme oder rosafarben. Das sind dann diese kleinen Unterschiede, wie bspw. zwischen Nylon und Dederon.

Nylon ist ein PA6.6 [(–NH–(CH2)6–NH–CO–(CH2)4–CO–)n+ 2n H2O], wobei die Zahlen hinter PA die Kohlenstoffatome aus Diaminen und Dicarbonsäuren bezeichnen. Es wird aus Hexamethylendiamin und Adipinsäure hergestellt und ist Produkt einer Polykondensation unter Wasserabspaltung.

Die berühmten Nylons waren die ersten aus Kunstseide bestehenden Strumpfhosen und wurden weltweit zu einem Verkaufschlager. Ganze Generationen verbanden damit den Sexappeal von Filmstars und Mannequins. Neben der Erotisierung von Frauenbeinen, wurden sie als inoffizielle Währung bzw. Tauschware benutzt. Übrigens verhalfen die Nylons später auch dem Minirock zu seinem Siegeszug.

Perlon und Dederon gehören zur Gruppe PA6[ ((–NH–(CH2)5–CO–)n)] und sind Polyamide, die sich durch Ringöffnungspolymerisation aus ε-Caprolactam mit Wasser als Starter bilden. Das wird jetzt ein Schock für alle, die sich jahrelang auf den Unterschied zwischen Perlon und Dederon festgenagelt haben. Sie sind chemisch das Gleiche! Was das über die Kunststoffforschung der DDR zu verraten hat, sei jetzt dahingestellt…

Polyamid, der bunte Lieblingskunststoff

Beide Polyamide wurden zunächst für hochwertige Bekleidung verwendet, wie Blusen,Hemden, natürlich auch Strümpfe. Größter Nachteil war das Schwitzen in diesen Klamotten, was jedoch der Beliebtheit keinen Abbruch tat. Erst als die Kunstseide in Massenware hergestellt wurde, kamen auch die Dederonschürze und der „Falls-Beutel“. (Der Beutel, der für alle Fälle immer in der Handtasche stak, falls es plötzlich Ware zum Anstehen gab.)

Das mit Abstand tollste Feature des Dederon ist seine gute Färbbarkeit und dass man ihn in leuchtenden Farben bedrucken kann. Für die Musterzeichner und Designer von damals eine tolle Gelegenheit in den Farbtopf zu greifen. Auch in der Bevölkerung erfreute sich Jung und Alt an den nie da gewesenen knalligen Kleidungsstücken. Das das Polyamid auch noch super einfach zu reinigen geht, schnell trocknet, sehr elastisch und leicht ist, brachte es zu einer kleinen textilen Revolution. Schnell erkannten die DDR- Staatsoberhäupter das Potenzial zur ökonomischen, kreativen und gleichzeitig uniformen Nutzung des Stoffs in Form der Kittelschürze. Das ist aber schon wieder eine andere Geschichte…

Dederon im Hier und Jetzt

Neben seiner geschichtlichen Relevanz, gilt es diese Kunstseide auf ganz neue Art und Weise zu interpretieren. Ich habe mir eins, zwei Meter beschafft und werde sie nach Designer- Manier gründlich untersuchen und zu neuen Produkten formen. Bleibt gespannt! Nebenbei wird der angestaubte Dederonbeutel „neu erfunden“ und im Handsiebdruck in meiner Werkstatt veredelt. -> hier Mein Beutel

PS. Hier noch ein kleiner Funfact: Die Massenproduktion von Dederon und dessen Verwendung als Kleidungstück aller Art kurbelte auch einen anderen Wirtschaftzweig an, die Deoproduktion.

Jetzt habt ihr einen Einblick zum Thema Dederon bekommen. Was ist eure Erinnerung an die Kunstseide? Kennt ihr jemanden, der eine Kittelschürze oder einen Dederonbeutel zu Hause hat? Lasse gerne einen Kommentar hier, ich bin gespannt auf eure Meinung!

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit und bis zum nächsten Mal,

eure Ms.Hey!